Podcast-Folge 125

vom 27.09.2025

Wie kommt man auf die Idee, Mutisten hätten keinen Mut?

Mir sind in kurzer Zeit gleich mehrere Aussagen von Fachleuten über Selektiven Mutismus untergekommen, in denen "fehlender Mut" in einem Atemzug mit "nicht sprechen" genannt wurde.

Da steigt bei mir der Puls, denn diese Verknüpfung ist weder hilfreich noch zutreffend. Und in dieser Folge vom Mutismus-Podcast mache ich meinem Ärger mal Luft.

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Über mich


Ich bin Christine Winter

... und ich hatte Selektiven Mutismus, bis ich Mitte Dreißig war. 

Heute unterstütze ich Erwachsene, die ihre Sprechblockaden hinter sich lassen wollen, sowie Familienangehörige und professionelle Helfer beim Mutismus verstehen.

Wenn Sprechen nicht geht, ist das kein Mut-Mangel-Problem.

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Zusammenfassung der Folge

mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt

Selektiver Mutismus heißt: Sprechen geht manchmal nicht, obwohl die Person sprechen kann und sprechen möchte. Mehr nicht - und trotzdem wird oft fälschlich angenommen, es fehle den Betroffenen an „Mut“.

Warum das Wort „Mut“ so verlockend ist

  • Sprachlich liegt eine Verwechslung nahe: Mut - Mutismus. Das erzeugt eine einfache Erklärung, die vielen plausibel erscheint.
  • Für Außenstehende wirkt „Mut haben“ wie eine direkte Lösung: Wer mutig ist, spricht eben. Das ist eine verführerisch simple Zuschreibung.

Warum diese Zuschreibung problematisch ist

  • Schuldzuweisung: Du gibst den Betroffenen die Verantwortung für ihre Hilflosigkeit. Das ist unfair und falsch.
  • Forderung nach dem Unmöglichen: Mut wird verlangt - etwas, das in der akuten Situation irrelevant oder schlicht unmöglich ist.
  • Fehlinterpretation von Willensstärke: Selektiver Mutismus als „mangelnde Willenskraft“ darzustellen, übersieht die eigentliche Dynamik von Blockade und Angstreaktion.

Vergleiche, die zeigen, wie absurd die Mut-These ist

  • Einem Erwachsenen in einer akuten Depression sagen wir (hoffentlich) nicht „sei einfach mutiger“.
  • Bei Magersucht fordern wir (hoffentlich) nicht „nur Mut, iss einfach!“

Die Idee, eine psychische Erkrankung mit einem flapsigen "Mutmach-Spruch" zu beheben, verbietet sich doch wohl von selbst. Außer bei Mutismus-Betroffenen???

Was der Diagnosekatalog ICD-11 über Selektiven Mutismus sagt und nicht sagt

  • Im ICD-11 steht Selektiver Mutismus unter „Angst- oder Furchtbezogene Störungen“ - das ist keine automatische Gleichsetzung mit „Angststörung“. Und schon gar nicht mit "Mut-Mangel-Störung".
  • Die WHO-Formulierungen lassen offen, wie genau Angst und Mutismus zusammenhängen.
    Es ist aber unstrittig, dass Betroffene mit der Zeit auch Furcht vor Hilflosigkeit in sozialen Situationen entwickeln können. Und damit ist Selektiver Mutismus zwar nicht gleich Angst, aber eine Störung, die einen Bezug zu Befürchtungen mit sich bringt.

Was wirklich stimmt

  • Selektiver Mutismus bedeutet: Sprechen geht manchmal nicht, obwohl man sprechen kann und möchte.
  • Betroffene sind nicht feige. Ganz im Gegenteil: Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene zeigen enormen Mut, weil sie sich immer wieder in Situationen begeben, in denen sie hilflos werden könnten - Kindergarten, Schule, Ausbildung, Arbeit.

Was Eltern und Fachleute tun sollten

  • Keine Schuldzuweisungen: Sage deinem Kind nicht, es fehle ihm an Mut.
  • Anerkennen: Manche Situationen sind guter Nichts-zu-tun-Kräfte. Sie sind nicht das Ergebnis mangelnder Anstrengung.
  • Unterstützung statt Belehrung: Wenn dein Kind sprachlich blockiert, hilf ihm, die Situation zu entspannen, statt mit gutgemeinten „Mut“-Parolen zu reagieren.
  • Ruhig bleiben: Mutismus heißt: es geht gerade nicht. Atmen, beruhigen, Situationen so gestalten, dass wieder mehr möglich wird.
NIEMAND hat „zu wenig Mut“.

Wenn Menschen in Schwierigkeiten geraten, liegt das nicht an Feigheit, sondern an momentaner Unmöglichkeit, anders zu handeln. Selektive Mutismus ist keine Charakterschwäche. Wer so urteilt, stigmatisiert Betroffene und erschwert echte Hilfe.

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