Wohlfühlen vom 10.10.2019

Zu still und kein Selbstbewusstsein. Was tun?

Mal angenommen, du hättest überhaupt gar kein Selbstbewusstsein…
Warum würde dich das stören?

Oder anders gefragt: Was für Gründe hast du, hier jetzt weiterzulesen?

Bevor du dir meine Gedanken dazu anschaust…

Finde erst mal für dich selbst mindestens eine Begründung, warum du dich jetzt gerade mit deinem Selbstbewusstsein beschäftigst.

Und am besten ist es, wenn du sie dir auf einen Zettel schreibst.

Klicke erst dann auf den Satz, der am nächsten an deiner eigenen Antwort dran ist.

Weil es wichtig ist, was andere über mich denken.

Selbstbewusstsein ist etwas, das immer im Zusammenhang mit “den Anderen” steht.

Dabei klingt das Wort “Selbst-Bewusstsein” oder auch “Selbst-Sicherheit” eigentlich so, als ob es nur dich ganz allein betreffen würde.

Ich stelle mal eine These in den Raum (und du prüfst bitte, ob sie auch für dich Sinn ergibt):

Wenn es “die Anderen” nicht gäbe… Also, wenn du ganz allein auf einer ansonsten unbewohnten Insel wärst… Dann wäre dir Selbstbewusstsein ganz egal, weil du einfach von Aufgabe zu Aufgabe deine Fähigkeiten so einsetzen würdest, dass du deinen Insel-Alltag gut geregelt bekommst.

Sobald allerdings ein Anderer hinzukommt, wird es wichtig, welche Fähigkeiten du hast und welche Fähigkeiten er hat - und ihr werdet euch beide (im Vergleich zum Anderen) Selbst-Bewusst.

Weil es wichtig ist, dass ich meine Stärken kenne.

Deine Stärken zu kennen ist die Quelle von Selbst-Bewusstsein - und nicht (wie man meinen könnte) die Folge davon.

Und den eigenen Stärken auf die Spur zu kommen ist es eine ziemlich schwierige Aufgabe. Denn was dir leicht fällt, machst du zumeist “auf Autopilot” ohne dir irgendwelche Gedanken zu machen.

Du könntest mir mühelos eine Liste von Sachen, die du nicht so gut kannst, nennen, wenn ich dich jetzt danach frage.

Wenn ich dich aber frage: Was kannst du außerordentlich gut? - dann würde die Liste vielleicht nicht ganz so umfangreich.

Und das ist nicht etwa so, weil du zu wenig kannst. (Im Gegenteil: Du stemmst deinen Alltag und einige unalltägliche Aufgaben ganz problemlos. Das ginge ohne alle deine Stärken überhaupt nicht!)

Das ist so, weil wir Menschen bewusst wahrnehmen, dass etwas fehlt.
Unser Gehirn ist einfach so angelegt, dass es die fehlenden Stellen wichtiger nimmt als das, was bereits gut ist.
Dass schon extrem viel da ist, übersehen wir gern mal.

Weil ich Sicherheit über meine Fähigkeiten haben will.

Sicher zu wissen, was du kannst, ist immer dann wichtig, wenn du in irgendeiner Art von Wettbewerb mit jemandem stehst.

Das kann in einem sportlichen Kräftemessen sein.

Oder bei einer intellektuellen Auseinandersetzung - einer Debatte, einer Diskussion, einem Wissens-Wettkampf.

In einer Hausarbeit für eine Note im Studium. Oder ganz generell immer dann, wenn es eine Beurteilung gibt.

Oder in einer Gruppenarbeit bei einem Fortbildungsseminar.

Im “Kampf” um ein Lob vom Chef -
oder um die Anerkennung der Eltern…

Wenn du weißt, was du kannst, wirst du dich selbstbewusst dem Vergleich mit anderen stellen.

Und wenn du im Vergleich mit anderen gut abschneidest, wirst du daraus Selbstbewusstsein entwickeln.

Das ist es, was dieses Thema so schwierig macht: Du brauchst ein gewisses Selbstwertgefühl, damit du dich mit deinen Stärken zeigst, um so deinen eigenen Wert besser kennenzulernen und deine Stärken mehr in den Vordergrund zu stellen.

Weil mir schon mehrere Leute gesagt haben, dass ich ein zu geringes Selbstbewusstsein habe.

Es gibt Menschen, die sagen (oder zeigen) dir, was du an dir entwickeln solltest. Das ist erst mal positiv, weil du dann weißt, wo in den Augen der Mitmenschen dein Entwicklungs-Potenzial liegt.

Vermutlich hilft es dir aber nicht, wenn jemand sagt: “Du brauchst mehr Selbstbewusstsein.”

Denn du hast dann keine Idee, was du tun sollst, um mehr davon zu kriegen. Du weißt nur: Da fehlt dir offenbar etwas und jemand hat es bemerkt - und das macht dich unsicherer als zuvor.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass du dir schon deiner selbst bewusst bist (und das ist ja mit dem Begriff “Selbstbewusstsein” gemeint).

Allerdings schaust du im Moment auf das, was du nicht hast oder was im Vergleich mit den Anderen bei dir nicht so stark ausgeprägt ist. Dein Selbst-Bewusst-Sein ist auf die fehlenden Fähigkeiten und Eigenheiten gerichtet.

Was dir der Satz “Du brauchst mehr Selbstbewusstsein” eigentlich sagen sollte, ist:

“Du hast einen ganzen Haufen Stärken. Und du solltest sie dir selbst bewusst machen, um sie dann mit Selbst-Bewusst-Sein zu zeigen.”

Weil ich mich irgendwie unbeholfen fühle.

Das Gefühl, auf unbestimmte Weise “nicht richtig” zu sein, hängt ziemlich oft mit einem unklaren Bewusstsein für das, was die eigene Persönlichkeit ausmacht, zusammen.

Wenn das auch bei dir so ist, kann ich dir versichern: Mit dir ist alles völlig richtig, genau so wie du bist.

Woher ich das weiß?

Ganz einfach. Jeder ist mit allem, was er im bisherigen Leben schon an Fähigkeiten und Eigenheiten gesammelt hat, genau richtig. (Und annähernd jeder hat das Gefühl, dass das für alle Menschen auf der Welt bestimmt zutrifft, nur bei sich selbst ist da dieser Zweifel.

Gut wäre, wenn du dir über einige von deinen Stärken ganz sicher sein kannst - denn dann hast du diesen Bereich, in dem du dich nicht unfähig und unbeholfen fühlst, sondern weißt: Das ist genau dein Ding.

Und wenn du dich mit deinem Ding wohlfühlst, wird die Unsicherheit in anderen Bereichen  wundersamerweise immer weniger relevant, weil dein Selbstwertgefühl gewachsen ist und du dir selbst sicherer bist.

Selbstbewusstsein entsteht durch Vergleichen

Ist das nicht spannend?

Es geht gar nicht um dich allein.

Ich glaube sogar, dass du dich - wenn’s sonst niemanden gäbe, von dem du dich gesehen fühlst - nicht sonderlich für das Thema interessieren würdest.

Warum auch… Schließlich bist du so, wie du bist. Und wenn keiner zuguckt, dann machst du genau das, was du gerne machst (und deswegen auch gut kannst).

Die Unsicherheit im Bezug auf deine Fähigkeiten und deine Eigenheiten entsteht erst, wenn du dir überlegst, wie du wohl abschneiden würdest, wenn sich jemand mit dir vergleicht.

Und um dem Urteil der Anderen zuvor zu kommen, erledigst du das Vergleichen lieber selbst.

Du bist nicht fair, wenn du dich selbst beurteilst

  1. Du weißt mehr über deine Schwächen als irgendwer sonst auf der Welt.
  2. Du weißt weniger über deine Stärken als die Menschen, die dir nahe stehen.
  3. Du gewichtest Schwächen bei dir selbst doppelt und dreifach und legst bei den Stärken nur ganz wenig in die Waagschale.

Niemand ist 24 Stunden am Tag mit dir zusammen - nur du selbst.

Niemand kriegt mit, was in deinem Kopf an Selbstgesprächen stattfindet. Keiner weiß von den Namen, die du dir in Gedanken gibst und den Beschuldigungen, die deine innere Stimme dir an den Kopf wirft.

Niemand außer dir schaut zu, wenn du etwas übermäßig kompliziert machst und dann auf den allerletzten Drücker doch noch irgendwie zu einem ganz brauchbaren Ergebnis kommst.

Kaum jemand nimmt Notiz davon, was du - tatsächlich oder auch nur in deinen eigenen kritischen Betrachtungen - verkehrt oder unkonventionell machst. Nur du selbst bist die ganze Zeit am Bewerten…

Andere sind die besseren Feedback-Geber

Andere Menschen sehen dich einfach realistischer.

Sie vergleichen dich nämlich mit anderen ganz normalen Menschen und nicht - wie du - mit deiner idealisierten Wunsch-Version von dir selbst.

Aber nicht alle sind geübt darin, hilfreiches Feedback zu geben

Feedbacken (ich glaube, das Wort gibt’s offiziell gar nicht) will gelernt sein.

Denn damit es dir etwas bringt, sollte es einerseits sehr ehrlich und andererseits sehr nutzbringend sein.

Stärken-Feedback soll

  • nicht drumherumgeschwurbelt, sondern präzise sein,
  • für dich komplett nachvollziehbar sein,
  • auf deine Unsicherheiten eingehen, statt auf Fehlern herumzureiten
  • und ohne Besserwisserei gegeben werden.

Selbstsicherheit entsteht, wenn andere (und dann auch du selbst) deine Stärken anerkennen

Jemand sagt dir ganz nebenbei, dass du toll zeichnen kannst.

Du sagst dir, dass das Quatsch ist, weil du ganz schlecht darin bist, Gesichtsausdrücke zu zeichnen. Das sind irgendwie immer nur Grinsegesichter.

Jemand sagt dir, dass deine lachenden Gesichter total ansprechend sind und irgendwie sehr besonders.

Du denkst dir, dass “besonders” wahrscheinlich ein Codewort für “ziemlich unterdurchschnittlich” sein muss.

Kollegen bitten dich, auf die Geburtstagskarte für den Chef eines von deinen ganz speziellen Smiley-Männchen zu zeichnen.

Du gehst davon aus, dass sie dich und/oder den Chef verulken wollen.

Es kann eine Weile dauern, bis du eine Stärke, die für andere sehr bewunderungswürdig ist, bei dir selbst anerkennen kannst.

Ich weiß, wovon ich rede - denn das Beispiel mit den Männeken ist von mir selbst…

Ich behaupte (immer noch), dass ich diese Grinseköpfe nur zeichne, weil ich keine besseren Gesichter kann. Alle anderen finden das besonders kreativ - und tatsächlich sind die Männeken auch längst zu einer Art Markenzeichen von mir geworden.

Sie sind mir trotzdem immer noch ein wenig peinlich. Ich würde nämlich lieber “richtig gut zeichnen können”...

Aber sie haben ihren Weg ins Internet und in meine Coachings und in meine Seminare gefunden.

Durch die vielen positiven Feedbacks weiß ich jetzt: Ich kann - auf meine ganz spezielle Weise - gut zeichnen. Und die Männekens sind eine besondere Stärke von mir. :-)


Für dich und deine Stärken gilt genau wie für mich:

Selbstbewusstsein spielt nur eine Rolle in sozialen Kontexten - wenn niemand da wäre, der von deinen Stärken und Schwächen Notiz nimmt, wäre dein Selbstbewusstsein für dich selbst piepegal.

Weil es ohne die Anderen irrelevant ist, kriegst du es nicht, wenn du ganz für dich allein hinsinnierst.

Zeige, was du kannst

Weil du kein Feedback kriegst, wenn niemand deine Stärken sieht, ist es wichtig, dass du sie zeigst.

Das ist ganz einfach: Mach das, was dir leicht fällt. Und das, was andere toll finden. Und das, was dir Spaß macht.

Nur keine ungerechtfertigte Bescheidenheit!

Ich höre dich aufschreien:

“Aaaber:

  • Ist Stärken herausstellen nicht unbescheiden? 
  • Sollte man nicht den Fokus auf das richten, was man bei sich entwickeln muss?
  • Was sagt man denn, wenn man nach den eigenen Stärken gefragt wird?
  • Ist das nicht Großkotzig? Arrogant? Überheblich?"

Nein. Ist es nicht.

Du zeigst, was in dir steckt. Du machst das Beste aus dem, was du mit Leichtigkeit kannst. Du protzt nicht, sondern zeigst Stärken, die andere staunen lassen. Du verschwendest deine Energie nicht auf das, was du nicht kannst. Und wenn dich jemand fragt, was du gut kannst, dann redest du nicht stotternd drum herum, sondern zeigst einfach deine Resultate.

Alles andere wäre wirklich falsche Bescheidenheit.

Sei du selbst, lass die anderen anders sein.
Deine

Christine